Buchzusammenfassung: „Laziness Does Not Exist“ von Dr. Devon Price

von Mathéo Dahlberg

Faulheit existiert nicht!

Für wen ist das Buch?

Personen, … 

  • die denken, sie tun nicht genug, 
  • die sich selbst (oder andere) dafür verurteilen, keine Motivation, Energie oder Konzentration zu haben, 
  • die überarbeitet sind,
  • die bereit sind, gesellschaftliche Erwartungen und Urteilen loszulassen.
  • die sich über ihre Arbeit und das, was sie für andere tun, definieren.

Insbesondere auch für Vorgesetzte, Lehrpersonen, Führungskräfte, Eltern und Studierende.

Für wen ist das Buch nicht?

  • Personen, die kein Verständnis für systemische Probleme aufbringen.
  • Leute, deren einziges Interesse Produktivitätssteigerung ist, und die nicht davon ablassen.
  • Menschen, die viele -ismen in sich tragen und anderen sowie sich selbst kein Verständnis und Mitgefühl entgegenbringen möchten/können.

Zum Autor* und Hintergrund

Dr. Devon Price  ist Sozialpsychologe und Professor an der Loyola University in Chicago. Inspiriert wurde das Buch durch seine eigene Biografie, Erfahrungen mit Burnout, sowie Beobachtungen von Überarbeitung und anderen Problemen bei seinen Studierenden. Ebenso bezieht er sich auf Gespräche mit Freund*innen über die Stigmatisierung obdachloser Personen oder anderweitig marginalisierter Personen als faul, und was das mit Kapitalismus, mangelndem Mitgefühl und eigener Überarbeitung zu tun hat. Er spricht vom jahrelangen Teufelskreis und der Dichotomie, in der er selbst gefangen war: einerseits ein Selbstbild und eine Persona definiert über akademischen Erfolg, Aktivismus und Nutzen für andere, und andererseits eine untragbare innere Erschöpfung, die zu Schuldgefühlen und Versagensgefühlen führte.

Dieses umfassende und wissenschaftlich fundierte Buch wird mit Bezügen zu Pop-Kultur, geschichtlichen Hintergründen, alltäglichen Problemen, einer intersektionalen Perspektive und persönlichen Geschichten und Einblicken zu einer zugänglichen Lektüre für die breite Masse. Ergänzt wird das Ganze durch praktische Ratschlägen und Lösungen, Fragen zur Selbstreflektion sowie Affirmationen.

Was soll das eigentlich sein, Faulheit?!

Im tiefen Inneren sind wir alle faul – so die allgemeine Überzeugung. Faulheit definieren wir hier zum einen als mentale oder physische Unfähigkeit etwas zu tun, als Schwäche, zum anderen als moralische Wertigkeit. Wieso das so ist, erklärt Price mit einem historischen Exkurs zu christlicher Ideologie, Faulheit als Todsünde und dem Nutzen dieser Konstruktion zur Rechtfertigung von Ausbeutung. Er greift aber auch auf, wie verankert dies in Medien ist. Sei es über inspiration porn (Personen mit Behinderungen, die Barrieren überwinden und alles schaffen), das Narrativ, wie man mit harter Arbeit zu den ersten Millionen kommt, oder die Gegenüberstellung von faulen Bösewichten mit Hürden, die sich nicht überwinden können und dem Held*innencharakter, der durch Motivation und Energie seine Hürden überwindet und die ganze Welt alleine rettet. Scheitern wird meist als ein persönlicher Mangel dargestellt.

Dem übergeordnet ist die Faulheitslüge. 

Diese sagt uns, dass (1) unser Wert über unsere Produktivität definiert ist, (2) wir unseren Gefühlen, Grenzen und Bedürfnissen nicht vertrauen können, und (3) dass es immer mehr gibt, was wir tun könnten. Uns wird suggeriert, dass im Zentrum unseres Selbst unsere Arbeit steht, und das, was wir für andere leisten können. Dabei sind Signale unseres Körpers und Bedürfnisse Anzeichen von Schwäche und Egoismus, sowie Impulse, Versuchungen nachzugehen und der Faulheit zu verfallen. Diese zu überwinden gilt als Selbstoptimierung und erstrebenswert; unsere Grenzen sind dabei verhandelbar.

Viele Verhaltensweisen, die wir als faul abstempeln, erfüllen jedoch einen wichtigen Zweck und sind eigentlich sehr reife und verantwortungsvolle Entscheidungen. Eigentlich brauche ich Faulheit, um meinen Wert (unabhängig von Produktivität) zu erkennen, kreativ zu sein, Verbindung zu meinen Gefühlen aufzubauen und meine persönlichen Prioritäten zu entdecken, authentischer ich selbst zu werden und langsam den Schaden jahrelanger Überarbeitung zu heilen. 

Die Kosten der Faulheitslüge

Doch die meisten von uns stecken in einem Kreislauf der ständigen Überarbeitung. Die Arbeitswelt weist immer und immer mehr Probleme auf: wir arbeiten immer mehr, sammeln mehr Überstunden, haben ein schlechtes Gewissen, uns krank zu melden, verdienen nicht genug, um steigende Kosten zu decken, sind unsicher angestellt… Dies ist für unsere Gesundheit katastrophal, hat Konsequenzen für die Qualität unserer Arbeit und fördert Ressentiment, Bias und ungerechte Behandlung. Personen in sozialen Berufen können Hass gegenüber ihren Patient*innen entwickeln, abstumpfen und Probleme entwickeln, Empathie zu spüren. 

Du kannst erstmal davon ausgehen, dass dein aktuelles Arbeitspensum zu viel ist, und ganz wichtig: dass du es verdienst, weniger zu arbeiten!

Erste Schritte raus aus der Faulheitslüge 

Reflektiere, was dich glücklich und unglücklich macht bei der Arbeit, was, oder wer dich lebendig fühlen lässt und was dich fasziniert! Ebenso wichtig sind Veränderungen am Arbeitsplatz und in der Freizeit. Heißt also, mit den Vorgesetzten über wissenschaftliche Erkenntnisse zu Autonomie am Arbeitsplatz und Arbeitszeiten zu sprechen. So fördern Autonomie, flexible Arbeitszeiten und selbstgewählte Verpflichtungen die Motivation und Produktivität. Das kann die Angst besänftigen, durch mehr Freiheiten und Umstrukturierung würde die Arbeitskraft verloren gehen. Ebenso sollte Qualität über Quantität priorisiert und ergebnisorientiert gearbeitet werden und eine klare Grenze zwischen Arbeit und Freizeit geschaffen werden. Hier kann auch Selbstreflexion stattfinden, rückwirkend darüber, was man erreicht hat, worauf man stolz ist und wie sich die eigenen Fähigkeiten in einem gesetzten Zeitraum entwickelt haben. 

Vor allem für marginalisierte Personen besteht der Druck, sich über Arbeit, Konformität und Unterdrücken von Bedürfnissen und Authentizität einen Platz in der Gesellschaft zu erarbeiten – das romantisierte Narrativ, sich aus Diskriminierung, Unterdrückung und Barrieren einfach rausarbeiten zu können. Daraus resultiert ein stetiger Kampf nach immer mehr Erfolgen, sowohl beruflich, als auch in der Freizeit. Apps suggerieren uns, dass wir jede freie Minute noch produktiver nutzen können, soziale Medien machen Beziehungen ebenfalls zu Produkten. Ständige Aktivität, Erreichbarkeit, Schnelllebigkeit und Vergleichsprozesse werden gefördert und belohnt. Das führt zu einem Verhalten, das Freude dämpft und dafür sorgt, dass wir Sachen nicht mehr genießen: Unterdrückung, Ablenkung, Negatives suchen und finden, und negative mentale Zeitreisen.

Wie kann ich mich also davon lösen? Effektive Strategien sind z.B. Genuss zu kultivieren (Freude und Emotionen über Verhalten zeigen, achtsam im Moment leben, Erfahrungen auskosten, indem ich sie mit anderen teile und feiere, und positive mentale Zeitreise); Zeit nehmen, um Sachen zu bewundern und zu staunen; und Sachen zu machen und auszuprobieren, die man noch nicht gut kann. Dabei gilt es  sich bei Hobbies auf den Prozess, nicht auf das Ergebnis zu konzentrieren – persönliches Wachstum statt Wettbewerb ist im Fokus. 

Die Informationsflut reduzieren

Auch hilft es, Grenzen mit Medien zu setzen, also das Leben online weniger zu dokumentieren, sich handyfreie Zeit zu schaffen, Benachrichtigungen und Aktivitätstracker auszustellen.

Wir leben in einer Zeit mit immer steigendem Zugang zu Informationen und Reizüberflutung. Das ist ein Privileg, aber auch eine große Last, die zu psychischen Belastungen und einer verminderten Fähigkeit führt, Informationen zu fokussieren und zu speichern.

Was also tun? Setze Limits mit Informationen – mache großzügigen Gebrauch von Filter-und Blockierfunktionen, ohne dich schuldig zu fühlen, überfliege Schlagzeilen und lese dich nur bei ausgewählten Themen tief ein, bleib weg von Kommentarspalten und lese keine Nachrichten vor dem Schlafengehen. Außerdem ist es sinnvoll zu lernen, weniger Informationen auf eine tiefere und bedeutsamere Art und Weise zu konsumieren. Das heißt: aktives Lesen üben, Gespräche über Gelesenes führen, lernen, dass es okay ist, Sachen nicht zu wissen, und sich auf das zu konzentrieren, was man tatsächlich ändern kann.

Auch in Bezug darauf, wie unser Leben auszusehen hat, werden wir ständig mit Idealen und Erwartungen konfrontiert. Ein Level von Makellosigkeit und “Perfektion” zu erreichen, das uns in stark editierten Beiträgen in sozialen Medien vorgelebt wird, ist nicht nur unmöglich, sondern auch ein Ziel mit massiven Auswirkungen auf unsere mentale Gesundheit. Das loszulassen, heißt, sich bewusst zu machen, dass das Leben chaotisch sein darf, Aufwärtsvergleiche zu meiden, und uns stattdessen nach wahrer Inspiration ausrichten. Also Medien zu konsumieren von Personen, mit denen wir uns identifizieren können, die in uns Hoffnung auslösen und das Gefühl geben, gut zu sein und uns Kraft für Ziele geben, für die wir wirklich brennen.

Gesunde Grenzen setzen

Die Faulheitslüge sagt uns, dass Grenzen in Beziehungen Schwäche bedeuten und wir uns Liebe durch harte Arbeit, stetige Erreichbarkeit und Überlastung für andere verdienen müssen. Das loszulassen heißt also, zu lernen, andere vielleicht zu enttäuschen, Nein zu sagen und unsere authentischen Bedürfnisse und Prioritäten zu entdecken. Hier ist es wichtig, Erwartungen aufzulösen, Personen vielleicht auch vorzuwarnen, dass man sich etwas zurückziehen muss, und sich ggf. auch wiederholen zu müssen, wenn man Grenzen setzt. Man sollte darüber nachdenken, ob es in gewissen Situationen wirklich sinnvoll ist, zu helfen, sich fragen, warum man helfen möchte, und aufhören, unangebrachtes Verhalten zu belohnen. Wenn wir also die Verantwortung übernehmen, die komplette Stütze einer anderen Person zu sein, überladen wir uns nicht nur selber, sondern wir nehmen deren Möglichkeit weg, sich selbst zu empowern.

Unrealistische Erwartungen loslassen

Uns wird implizit ein Bild vorgegeben, wie wir zu sein haben, unser Leben zu leben haben und wie Professionalität auszusehen hat. Vor allem für viele marginalisierte Personen heißt das, ihre bloße Existenz sei unprofessionell oder eine Ablenkung. Wer nicht dem vordefinierten und rigiden, konformen, dünnen, neurotypischen, bedürfnislosen, nicht-behinderten, weißen Bild von Professionalität entspricht, ist häufig direkt zum Scheitern verurteilt. Sich davon abzulösen und trotz Systemen von Diskriminierung und gesellschafltichen Erwartungen man selbst zu sein ist nicht faul, sondern die härteste Arbeit von allen!

Auch unsichtbare Belastungen und mental load sind ein großes Thema. Hier kann man am besten nachverfolgen und festhalten, was man alles an Arbeit leistet, Arbeit abgeben (und von der Idee loslassen, dass es schlimm ist, wenn andere es weniger gut machen) und die eigenen Werte identifizieren, an denen zukünftig Prioritäten und Arbeit orientiert werden.

Eltern sind häufig mit vielen Erwartungen und Schuldgefühlen konfrontiert. Ein Konzept, das hier wertvoll ist, ist das der ‚good enough‘ parents. In diesem Kontext ist es wichtig, Fehler zu akzeptieren, sich ein eigenes Leben aufzubauen und einfach gut genug zu sein.

Und zu guter Letzt – es ist nicht deine Aufgabe, die Welt zu retten. Vor allem in einer Zeit, wo an jeder Ecke Probleme, schlechte Nachrichten und Ungerechtigkeiten zu erkennen sind, ist es leicht, das Gefühl zu bekommen, immer mehr  tun zu müssen, oder Schuldgefühle zu haben, sich nicht aktiver für wichtige und auch dringliche Themen einzusetzen. Price beschreibt, wie sinnvoll es ist, sich hier konkrete Ziele zu setzen, mit Fokus auf die eigenen Kapazitäten, Leidenschaften und Mitgefühl, statt auf Schuld oder Panik. Auch sich kleine, realistische Ziele zu setzen, denn auch kleiner Aktivismus hat eine Wirkung und ist wertvoll.
Man kann nicht alles ändern, und es ist wichtig, sich Raum zu geben, den Frust und die Wut über den Zustand der Welt, und auch die Trauer nicht ändern zu können, zu fühlen und zu akzeptieren.

Die Rolle des Körpers

Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie sehr sich Kapitalismus, Diät-Kultur und der ständige Zwang, produktiv zu sein, auf unseren Körper und unsere Beziehung zu ihm auswirken. Wir werden immer entfremdeter von ihm und interpretieren seine Bedürfnisse als Schwäche. Sehr entscheidend hier ist die uns beigebrachte Assoziation von Faulheit und dick sein. Fatphobia entgegenzuwirken ist essentiell, und ein wertvoller Weg hier ist es, sich mit fat positivity auseinanderzusetzen. Price schreibt auch darüber, wie wichtig und heilsam es ist, den eigenen Körper nicht als Produkt oder Objekt zu sehen, der stetig verbessert werden muss und als separat vom Geist steht. Eine urteilsfreie Verbindung zum Körper und den eigenen Bedürfnissen aufzubauen und Scham abzubauen ist das Ziel. Dein Körper ist perfekt wie er ist.

Das ultimative Mittel gegen die Faulheitslüge

Die Faulheitslüge beeinflusst all unsere Lebensbereiche, egal ob unsere Beziehungen, Interessen und Hobbies, wie wir über unseren Körper oder unsere Arbeit denken, aber besonders auch, wie wir über andere denken. Ausnahmslos jede Person besitzt einen inhärenten Wert und hat Mitgefühl verdient. Am besten umgesetzt werden kann das durch mitfühlende Neugier. Bevor ich mich oder andere verurteile, kann ich mich fragen: Welche Bedürfnisse stecken dahinter? Welche Schwierigkeiten oder Barrieren gibt es? Welche Erfahrungen stecken hinter dem Verhalten, wo wurde das erlernt? Gibt es vielleicht einen breiteren Kontext, den ich nicht sehe? Was mache ich, um die Assoziation zwischen Wert/Moralität und Produktivität zu verlernen? Wie kann ich sanft und wohlwollend mit mir selbst und anderen umgehen?

Wie auch das Fazit des Buchs lautet: compassion kills laziness – Mitgefühl tötet Faulheit!

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